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Die jüngste Geschichtsschreibung der Suryoye befasst sich im Allgemeinen mit Themen, die soziale Unterschiede, Machtverhältnisse und kulturelle Interaktion, vor allem die Beziehung zu anderen Volksgruppen und die Entwicklung und Überlieferung von Geschehnissen beleuchten. 

In Mesopotamien, einer Region, in der die Wechselbeziehungen von verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen vorrangig und prägend sind, ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung der Familien-, Clan- und Stammesbeziehungen sowie der daraus resultierenden Rivalitäten der führenden Persönlichkeiten und ihre Biographie, ein wichtiger Aspekt.

Darauf bezogen behandelt der vielen aramäischen Lesern bekannte Schriftsteller und Pädagoge Kemal Yalcin in seinem Buch „Der Held der Suryoye:a Semun Hanne Haydo“ insbesondere die politischen, militärischen, gruppenübergreifenden und stammeskulturellen Beziehungen vor und nach dem Sayfo (Völkermord) 1915.

Das Buch handelt über das Leben, den Kampf und die Jahre der Inhaftierung von Åžemun Hanne Haydo; als Quellen für dieses Werk dienten unter anderem die mündlichen Überlieferungen, Erzählungen und Erinnerungen der Suryoye und Kurden.

Einheit zwischen Stämmen

Åžemun Hanne Haydo wurde im Jahre 1874 in der Ortschaft B´Sorino (Haberli) geboren. Angesichts der zu jener Zeit vorherrschenden Stammesstrukturen und bestehenden Allianzen übten Åžemun Hanne Haydo und seine Familie von Suryoye selten beanspruchte und wichtige Funktionen aus. Trotz der herrschenden mächtigen und großen Stämme in der Region, den Heverki und Dekschüri Familienclans, waren sie viele Jahre hindurch in der Lage, die Verwaltung der benachbarten Ortschaften auszuüben und aufrecht zu erhalten.

 Åžemun`s Vater Hanne war der Anführer der Dörfer mit Suryoye-Bevölkerung. Nachdem der kurdische Stammesfürst BedirKhan 1843 in der Hakkari Region 40.000 Suryoye ermordet hatte und die Bedrohung auf Leben und Eigentum stetig zunahm, schützte er die Region vor Angriffen und bemühte sich vorrangig um die Einheit der Bevölkerung. Hanne konnte die Einnahme des Dayro Du Slibo-Klosters durch osmanische Soldaten und lokale kurdische Kollaborateure nicht akzeptieren. Daher bat er den kurdischen Anführer Haco (gesprochen: Hadscho) um Hilfe, das Kloster zurückzuerobern. Unter Leitung von Hanne und Haco befreiten die Kampfverbände durch bewaffnete Überfälle das Kloster.

Die im Konflikt umgekommenen osmanischen Soldaten wurden dem Anführer Haydo angelastet. Um ihn habhaft zu werden, erfolgten mehrere erfolglose Operationen und Überfälle. Dabei wurden jedes Mal Dutzende Suryoye getötet. Auch Haydos Frau Besse wurde während einer Fehde ermordet. Obgleich er einen unerschütterlichen Hass auf dem Staat empfand, kapitulierte er am Ende. Auf Ersuchen des syrisch orthodoxen Patriarchen, der damals im Deyrulzafaran-Kloster residierte, ergab sich Vater Haydo den osmanischen Streitkräften.

Die jahrelange Inhaftierung des Vaters in Mardin würde das Leben Åžemuns, der später die Stellung seines Vaters einnehmen sollte, nachhaltig verändern. Während seiner Zeit im Gefängnis bemühte und setzte sich Vater Haydo dafür ein, dass seine Kinder eine gute Ausbildung erhielten. Schließlich begannen seine Kinder Åžemun Hanne Haydo und sein Bruder Melke ihre Ausbildung am American College in Mardin. Im seiner Ausbildungszeit lernte Åžemun Englisch und Deutsch. Er hegte Interesse am aktuellen Geschehen, so dass er die politischen und militärischen Entwicklungen genau verfolgte.    

Darüberhinaus las Åžemun u.a. Bücher über die antike Zivilisation Mesopotamiens und interessierte sich für die klassische französische und englische Literatur. Dem Autor Kemal Yalcin zufolge, liebte er das Epos von „KöroÄŸlu“ und las beispielsweise mehrmals die kaukasische Liebesgeschichte „Kerem und Aslı“.

Kemal Yalçın handelt in den ersten drei Kapiteln des Buches die Situation der Familie Åžemun Hanne Haydo, die lokalen Stammes- und Machtstrukturen in der Region B´Sorino/Sare und die wechselseitigen Beziehungen unter den Suryoye ab. Trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Suryoye besaß die Familie Haydo lange Jahre große Machfülle und beschützte ihr Volk vehement.  

Die Anzeichen des Sayfo

Die Entwicklungen der regionalen Machtstrukturen im Hinblick auf Stämme und Führer, globale politische und militärische Ereignisse und die ersten Anzeichen des bevorstehenden Völkermords von 1915 (Sayfo) führten auf lange Sicht zur Veränderung der Region und der Beziehungen zwischen Gruppen und Stämmen.

Vor 1915 geriet der vom Volk anerkannte Führer der Suryoye, Åžemun Hanne Haydo, gelegentlich mit den mächtigen regionalen kurdischen Stämmen in Konflikt. Weil er auf eine Politik der Nichtbesteuerung der Suryoye beharrte, war er Ziel zahlreicher Angriffe durch kurdische Stammesführer.

Åžemun Hanne Haydo weigerte sich öffentlich, den kurdischen Stammesführern das schon zu der Zeit seines Vaters regelmäßig beglichene Schutzgeld zu bezahlen. So beginnt sich auf diese Weise sowohl sein Einfluss als auch sein Ruf in der Region zu verbreiten und zu festigen.Die osmanischen Behörden hatten die bevorstehende Katastrophe von 1915 im Voraus geplant und begannen, die mächtigen Stammesführer in der Region zu eliminieren.

Das sechste Kapitel des Buches erzählt zunächst von den Plänen und Geheimtreffen der staatlichen Behörden mit den „vier kurdischen Aghas“ (Stammesführer) in der Region. Bei den 1913 in der Moschee des Ortsteils Estel bei Midyat abgehaltenen Treffen ging es um die Ermordung der Suryoye.

Doch der kurdische Agha Batte, der an dem Treffen teilnahm und später Åžemun Hanne Haydos langjähriger Begleiter wurde, lehnte das Vorhaben ab. Andererseits bemühte sich Åžemun Hanne Haydo, der sich der bevorstehenden Katastrophe bewusst wurde, seit 1911 im Tur Abdin um Einheit und Solidarität unter den Suryoye.

Im siebten Teil des Buches berichtet der Autor über signifikante Ereignisse vor dem Sayfo: die Verhaftung der in Tur Abdin und benachbarten Regionen herrschenden Stammesführern (Aghas) und ihre Internierung im Elazig (Harput) Gefängnis.

Die Verhaftung der Aghas ließ die Menschen ahnungs- und führerlos zurück und ermöglichte eine ungehinderte Durchführung des Staatsplans. Die erwähnten Aghas verbrachten viele Jahre im Gefängnis und wurden von den politischen und militärischen Ereignissen ferngehalten.

Besetzung von B´Sorino

Um dem Völkermord, der im Sommer 1915 in der Region Tur Abdin einsetzte, zu entgegnen, versuchten die Suryoye in einigen Siedlungen Widerstandsgruppen zu bilden. Gemeinsam kämpften sie gegen die völlige Zerstörung in Ortschaften wie B´Sorino, Iwardo (Gülgöze) und Beth-Zabday (Idil). Im Jahr 1915 übernahm Åžemuns Bruder Melke die Führung in B´Sorino und führte die Suryoye zunächst erfolgreich gegen Angriffe. Allerdings griffen die Osmanen 1917 erneut die Suryoye in B´Sorino an. Die Nachricht von der Besetzung des Dorfes B´Sorino, der Ermordung seines Bruders Melke und dem Tod von 200 Aufständischen seines Volkes erreichte schließlich Åžemun Hanne Haydo.


Åžemun brach viele Jahre vor Ende seiner Haftstrafe zusammen mit Alike Batte im November 1917 aus dem Gefängnis aus. Bis 1917 war B´Sorino besetzt, die Männer wurden getötet und die Frauen und Kinder zum Islam zwangskonvertiert. Weil in dieser Zeit der Anführer des Iwardo-Widerstandes, Masud, ermordet wurde und die Suryoye in der Region zunehmend orientierungsloser waren, wurde Åžemun Hanne Haydos Rückkehr sehr begrüßt.

Die Jahre in den Gefängnissen

Wieder in Freiheit begann Åžemun Hanne Haydo in kurzer Zeit, die Beziehungen zwischen den Suryoye in der Region neu aufzubauen, die entführten Frauen und Kinder zu finden und das Dorf B´Sorino im Tur Abdin wieder aufzubauen. Er besuchte die in der Region verstreuten Frauen und vereinte sie mit ihren Familien. Gleichzeitig traf er in B´Sorino gezielt Vorbereitungen, um die Besetzung des Dorfes zu beenden.Um diese Idee zu verwirklichen und die Kontrolle in B´Sorino zurückzugewinnen,  traf er sich mit Suryoye, die sich im jesidischen Dorf Kiwag niedergelassen hatten, und bildete eine bewaffnete Gruppe. Jedoch wurde Åžemun Hanne Haydo erneut verhaftet und blieb bis 1930 im Gefängnis Antep.

Im Jahr 1931 schützte er sein Dorf und die Suryoye erneut vor Angriffen. Åžemun Hanne Haydo, viele Jahre inhaftiert, war unter den Suryoye und Kurden in der Region anerkannt und respektiert. Er galt jeher als der natürliche Führer der Region. Darüber hinaus traf er sich mit Ä°smet Ä°nönü im Dorf B´Sorino. Inönü bereiste die Region, um die Anstrengungen des Orient-Reformplans von 1925 zu untersuchen und Berichte zu erstellen.
Åžemun Hanne Haydo verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in seinem Dorf und nutzte seine Medizinkenntnisse, die er am Mardin College erwarb, um kranken Menschen zu helfen.

Die Freundschaft von Åžemun Hanne Haydo und Alike Batte ist unter den Suryoye und Kurden als Quelle vieler Sprechgesänge und Geschichten, immer noch intakt und lebendig. Åžemun Hanne Haydo verstarb 1964 im Alter von 90 Jahren.

Hinweis: Dies Artikel wurde von David Vergili in türkischer Sprache verfasst und von der HSA frei ins Deutsche übersetzt.

Kemal Yalçın  ist ein  türkischer Schriftsteller, der mehrfach ausgezeichnet wurde. Der in der Türkei ausgebildete Lehrer und studierte Philosoph flüchtete 1981 aus politischen Gründen nach Deutschland.  Heute arbeitet er als Lehrer in Bochum. Er war zeitweise auch Lehrbeauftragter ım Fachbereich Türkisch an der Universität Essen.

Kemal Yalcin veröffentlichte auch ein dreibändiges Werk über den Genozid von 1915 an den Suryoye (Süryaniler ve Seyfo) und das Buch „Ein Volksheld der Suryoye – Semun Hanne Haydo“. Dieses Buch erschien in sechs Sprachen (aramäisch, deutsch, türkisch, arabisch,englisch und holländisch).

 

 

 

 



 


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